Das Geheimnis des Herzens

Das Blut Christi und das Geheimnis des Herzens
Vortrag vor Ordensschwestern
Als Caterinas äußere Aktivitäten im Dienst der Kirche ihren Anfang nahmen, führte sie die Vorsehung zunächst nach Pisa, wo sie vom Bürgermeister, vom Bischof und von zahlreichen Gläubigen am Stadttor empfangen wurde. Hier in der Arno-Metropole, wo sie fast das ganze Jahr 1375 blieb, wohnte sie im Haus der Familie Buonconti. Zwei Söhne der Familie sollten sie dann später auch nach Avignon begleiten.
Neben dem Haus, am Ufer des Arno stand – und steht auch heute noch – die kleine Kapelle Santa Cristina. In dieser Kapelle (siehe Bild oben) empfing Caterina am 1. April des Jahres 1375 an ihrem Leib die Wundmale Christi. Bartolomeo Dominici und Raimund von Capua, die mit ihr in der Kapelle anwesend waren, haben uns darüber genau berichtet:
Es war an einem Sonntagmorgen. Und nachdem sie von ihm die hl. Kommunion empfangen hatte, fiel sie daraufhin „wie üblich in Ekstase ... plötzlich richtete sich vor unseren Augen ihr zarter Körper, der am Boden hingestreckt gelegen war, ein wenig auf und verharrte in kniender Stellung. Sie streckte ihre Arme und Hände aus, und ihr Angesicht war wie von Feuer gerötet. So verblieb sie völlig starr und mit geschlossenen Augen. Auf einmal stürzte sie vor unseren Augen zu Boden, als wäre sie tödlich verwundet worden; nach kurzer Zeit aber kehrten ihre leiblichen Sinne wieder zurück.“
Als Caterina später wieder zu sich selbst zurückkehrt, vertraut sie ihre Erfahrung des einzigartigen Geschenks ihrem Beichtvater an. Dabei sagte sie: „Ich habe gesehen, wie der ans Kreuz geschlagene Herr mit strahlendem Licht auf mich herabkam. Durch den unwiderstehlichen Drang meines Herzens wollte daher mein Körper seinem Schöpfer entgegeneilen und war genötigt sich aufzurichten. Da sah ich, wie aus den fünf Malen seiner heiligsten Wunden blutrote Strahlen auf mich herabkamen; sie waren auf meine Hände, Füsse und das Herz meines Leibes gerichtet. Ich begriff das Mysterium und rief sogleich: ‚Herr, mein Gott, ich bitte Dich, lass die Male in meinem Leib nicht äußerlich sichtbar werden!‘ Während ich noch redete und ehe jene Strahlen mich erreicht hatten, wandelten sie ihre blutrote Farbe in glänzendes Weiß und trafen in Form reinen Lichtes fünf Stellen meines Leibes, nämlich die Hände, die Füsse und das Herz“ (Legenda Maoir 194–195).
Für die italienische Caterina-Spezialistin Giuliana Cavallini ist diese Umwandlung der Stahlen, die von den Wunden des Gekreuzigten von blutrot in hellleuchtend übergegangen sind, zugleich eine Hilfe für uns, um zu verstehen, was das Blut Christis im Leben und in der Lehre Caterinas bedeutet.
Bei Caterinas Schriften gibt es ein zweifaches Charakteristikum, das für einen modernen Leser eher ungewohnt ist: das eine ist ihre bilderreiche Sprache, und das andere ihre fortwährendes Sprechen über das Blut Christi, das sich wie ein roter Faden durch alle ihre Werke hindurchzieht. Was sie dazu bewogen hat, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die einen bringen die Erfahrungen aus der elterlichen Färberei ins Spiel, andere wieder suchen den Grund dafür im zeitgeschichtlichen Umfeld, etwa in den blutigen Parteien-Kämpfen oder den öffentlichen Hinrichtungen; Siena wäre förmlich eine Stadt gewesen von schwarz geronnenem Blut. Jedenfalls handle es sich hier um eine persönliche Vorliebe für bestimmte Ausdrucksweisen und Bilder, an denen man sich aber letzten Endes nicht stoßen sollte.
Das ist natürlich alles nur eine oberflächliche Betrachtung. Caterinas Hervorhebung des Blutes Christi – und auch des Herzens Jesu – gründen in ihrer mystischen Erfahrung, vor allem aber in der Heiligen Schrift selbst. Es handelt sich hier also nicht um einen spirituellen Nebenraum, sondern um die Herzmitte der Kirche und des Glaubens.
Caterinas Christusliebe findet ihren tiefsten Ausdruck in der Betrachtung seines für uns vergossenen Blutes. Und dies ist zugleich eine beständige Betrachtung der Liebe: Der Liebe des Vaters, der seinen Sohn sandte in der Gestalt unseres Fleisches, um die Welt zu erlösen durch den Tod am Kreuz. Der Unsichtbare ist für uns sichtbar geworden im Fleisch. Dennoch blieb die Gegenwart des fleischgewordenen Wortes den meisten verborgen; nur in seiner Leidenschaft offenbarte sich die göttliche Liebe der Seele. Und zwar dadurch, dass er diesen menschlichen Leib mit seiner Hingabe in den Tod zum äußersten Ausdrucksfeld seiner Liebe gemacht hat: „denn das Feuer, das unter der Asche verborgen war, begann sich nun groß und leuchtend zu zeigen, als er seinen heiligsten Leib am Holz des Kreuzes öffnen ließ“ (Gebet 19). Das heißt, das Übermaß seiner göttlichen Liebe wurde konkret sichtbar in der Durchbohrung des Herzens und im Vergießen seines Blutes. Von daher wird für Caterina das Herz zum zentralen Mittelpunkt des Gottesgeheimnisses und das Blut zum allumfassenden Bild der sich daraus verströmenden Liebe.
Es gibt Urworte der Menschheit, die man nicht erst zu erklären braucht, weil jeder intuitiv weiß, was damit gemeint ist. Dazu gehören etwa das Wort „Herz“ und das Sprechen vom „Blut“. Jeder weiß, dass mit dem Wort Herz nicht nur ein Organ gemeint ist, sondern dass das Herz immer den Menschen in seiner Gesamtheit repräsentiert. Beim hl. Augustinus, der darüber ganz unbefangen gesprochen und geschrieben hat, wurde das Herz zu einem Schlüsselbegriff seines gesamten theologischen Denkens. Und die Sprache der Liebe wäre ohne diese Metapher gar nicht denkbar.
Im ersten Gebot fordert Gott daher von uns, ihn mit ganzem Herzen zu lieben. Und auch er selbst konnte seine Liebe zu uns nicht deutlicher zum Ausdruck bringen als in der Durchbohrung des Herzens Jesu am Kreuz.
Ähnliches gilt auch, wenn vom Blut gesprochen wird, das aus diesem geöffneten Herzen fließt. In ihm strömt die Liebe des göttlichen Herzens hinein in die Welt und durch alle Zeiten in den Sakramenten der Kirche. Das Blut Christi ist damit die verströmenden Liebe des Erlösers: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen – durch den Heiligen Geist.“
Der Märtyrerbischof Ignatius von Antiochien hat in seinem Brief an die Römer geschrieben: „Ich habe keine Freude an vergänglicher Speise, noch an den Vergnügungen dieses Lebens. Gottes Brot will ich, das ist das Fleisch Jesu Christi, und als Trank will ich sein Blut, das unvergängliche Liebe ist.“ D.h. das Blut Christi ist nicht nur Ausdruck seiner Liebe, sondern es „ist“ Liebe und es ist ein lebensspendender Trank. Caterina hatte diese Erfahrung aus zahlreichen mystischen Erlebnissen: Sie durfte aus seinem Herzen trinken, Christus zog aus seiner Seite ein blutrotes Gewand, mit dem sie fortan bekleidet war, und das sie gegen Kälte schützte.
Dass Blut mit Leben identifiziert wird, reicht zurück ins AT. Blut ist Leben. Leben aber ist Eigentum Gottes. Daher war es den Israeliten verboten, das Blut zu genießen und Blut zu trinken. Das Blut war als Opfergabe allein Gott vorbehalten. Anders dann im NT: Nun ist es Gott selbst, der uns den Auftrag gibt das Blut zu uns zu nehmen als Speise des ewigen Lebens: „Wer mein Fleisch isst und meine Blut trinkt, hat das ewige Leben“ und als Ausdruck seiner Liebe bis zum äußersten: „Nehmt und trinkt, das ist mein Blut, für euch vergossen, zur Vergebung der Sünden.“ Sein Blut ist also Leben. Und sein Blut ist Liebe. Verströmende Liebe Gottes. Das ist der zutiefst biblische Gedanke, den Caterina nun übernimmt und in dessen Licht sie das ganze Geheimnis unserer Erlösung betrachtet.
Caterina sieht im Blut ausgedrückt das Leid und die Schwere Passion - und sie darf auch selbst auf mystische Weise daran Anteil nehmen – aber sie sieht im Blut des Erlösers doch immer zuerst die lichtvolle Glut seiner Liebe, sie sieht das leuchtende und Umwandelnde, das dadurch geschieht. Als Caterina am Beginn ihres geistlichen Lebens stand und ihr Christus auf eine vertrauliche Weise zu erscheinen begann, erhielt sie auch jene bekannte Unterweisung: Caterina, du bist die, die nicht ist. ich dagegen bin der, der IST. Für Caterina war von da an klar: Wenn der, der die Fülle des Seins und jeder Vollkommenheit ist, andere zum Sein ruft, so kann das nur aus Liebe geschehen, also nur dadurch, dass er sich selbst gibt. Wie es ja der Liebe eigen ist. Von daher ist für Caterina die Realität der Liebe evident: alles kommt aus dieser Quelle. Alle Handlungen Gottes – in der Schöpfung, in der Vorsehung und in der Erlösung: „Wohin ich mich auch wende, überall finde ich unsagbare Liebe. … nur Du allein bist es, der mich liebt, ohne dass ich Dich geliebt habe, denn ich war ja nicht, und da hast Du mich geschaffen“ (Gebet 1).
Dieses strahlende Licht der Liebe wird verdunkelt durch die Sünde. Der unwissende Mensch, verführt durch falsche Erscheinungen des Guten, lenkt seine Liebe von Gott und vom weisen Plan seiner Schöpfung ab und vergräbt sich im Ich. Im Ego. Die Ichsucht, die Eigenliebe wird nun für Caterina das eigentliche Hindernis für das Gute und die Wurzel aller Übel. Und die Folgen davon: Ganz allgemein und für alle: durch die Sünde entstand zwischen Gott und den Menschen ein Graben. Eine Heimkehr zum Vater war nicht mehr möglich. Und die Folge für den einzelnen: Die Sünde hat „Dornen hervorgebracht, viele Mühen und Leiden, und am Ende haben die Geschöpfe gegen sich selbst rebelliert. Denn in dem Augenblick, da sie sich gegen Mich aufgelehnt haben, haben sie sich auch gegen sich selbst aufgelehnt.“ (D 21).
Das Werk der Erlösung muss daher ein zweifaches ermöglichen: eine Heimkehr ins Vaterhaus und eine Erneuerung des Menschen. Dieses Werk der Erlösung vollbracht der Sohn. Es gab keinen anderen Weg, den Menschen anzulocken und an sich zu ziehen. Und deshalb sandte der Vater den Sohn: „Auf diese Weise hat Er alle an sich gezogen, wodurch Er Seine unermessliche Liebe bewies. Denn das Herz des Menschen wird immer von der Liebe angezogen. Er konnte euch keine größere Liebe zeigen, als das Leben für euch hinzugeben“ (D 26).
Das Kreuz – Das große Christus-Buch über die Liebe
„Gott hat uns in das Auge unseres Geistes das Licht des Glaubens gegeben... Und er hat uns auch ein geschriebenes Buch geschenkt, nämlich das göttliche Wort, den Sohn Gottes. Dieses Buch wurde am Holz des Kreuzes geschrieben – nicht mit Tinte, sondern mit Blut. Und ihre leuchtenden Initialen sind die heiligen Wunden Christi“ (Brief 309). „Christus ist auf die Kanzel des Kreuzes ... gestiegen, um uns jene Lehre zu verkünden, die in seinem eigenen Leib eingeschrieben ist. Ja, er hat aus sich selbst ein Buch gemacht mit so großen Anfangsbuchstaben, dass dass sie auch für den dümmsten und sehbehindertsten Menschen deutlich zu lesen sind lesen sind. Lies also, lies, meine Seele“ (Brief 318). Doch das Lesen dieses Buch allein wäre zu wenig. Christus ist nicht nur eine Lehre, sondern die Straße und der Weg. Daher hat Christus sich nicht nur zu einem Buch gemacht, sondern auch zu einer Brücke, die sich vom Himmel zur Erde spannt, und den für uns unüberwindbaren Strom des Todes überspannt.
Die Christus-Brücke
Im Dialog sagt Gott Vater zu Caterina: „Ich möchte, dass du die Brücke betrachtest, Meinen eingeborenen Sohn, und dass du auch Seine Größe erkennst, die vom Himmel bis zur Erde reicht. Betrachte, wie der Lehm eurer Menschheit mit der Größe der Gottheit vereint ist. Darum sage Ich, dass sie vom Himmel bis zur Erde reicht: durch Meine Vereinigung mit der Menschheit. Das war notwendig, um den zerstörten Weg wieder zu erneuern, so dass ihr auf ihm das Leben erlangen und die Bitternis der Welt hinter euch lassen könnt.“ (Übrigens ein Bild, das sich so in dieser Weise nur bei Caterina findet. Bei früheren Schriftstellern (Ephräm, Gregor dem Großen) ist das Kreuz die Brücke, die das Reich des Todes überspannt und die Seele hinüberleitet ins ewige Leben. Bei Caterina wird die Brücke von einem unbelebten Gegenstand zu einer lebendigen Person: die göttliche Person des Wortes, die durch Annahme der menschlichen Natur den Himmel und die Erde wieder vereint. „Jesus ist der große Brückenbauer, der in sich selbst die große Brücke der vollen Gemeinschaft mit dem Vater errichtet” (Papst Franziskus, Angelus am 6. September 2015 in Rom).
Diese Christus-Brücke ist der einzige Weg des Menschen, um ins ewige Leben zu kommen (niemand kommt zum Vater außer durch mich). Es ist aber auch ein Weg, der die freie Entscheidung des Menschen miteinschließt. Die auf sich selbst fixierte Liebe des Menschen sollte hingezogen werden zu Gott: „Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alles zu mir ziehen“ (Joh 12:32).“ Dies erfüllt sich in der Brücke, die mit ihm identisch ist: „Denn diese Brücke ist erhöht, aber nicht von der Erde getrennt ... Und weißt du, wann das geschah? Als Mein Sohn am Holz des heiligsten Kreuzes erhöht wurde und dabei die göttliche Natur nicht von der niedrigen, irdischen Natur eurer Menschheit gelöst hat“(D 26). Diese Brücke aber ist nichts anderes als der gekreuzigte Christus, der sich für uns zur Treppe gemacht hat, die uns nach oben steigen lässt.
Das alttestamentliche Vorausbild von der Himmelsleiter, die Jakob im Traum sah, wird später durch Christus gedeutet in seiner Antwort an Natanael: „Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf und niedersteigen sehen über dem Menschensohn“. Damit ist klar geworden: In der Inkarnation hat sich der Logos für uns zur Treppe gemacht. Er ist herabgestiegen vom Himmel, damit wir auf ihm hinaufsteigen können.
Im Brief an den frommen Dominikaner P. Niccolo` da Montalcino lässt Caterina Christus sprechen: „Damit du emporsteigen kannst, habe Ich dir eine Treppe gemacht, als Ich am Kreuz angenagelt war. Steig zuerst hinauf zu Meinen Füssen... auf dieser ersten Stufe kannst du dich selbst erkennen. Dann wirst du zur geöffneten Seitenwunde gelangen. Durch diese Öffnung zeige Ich dir Mein Geheimnis, nämlich das, was Ich in der Liebe Meines Herzens getan habe ...“. „Ihr seht also“, sagt Caterina, „dass der gekreuzigte Christus uns Stufen gemacht hat mit seinem Körper, damit wir auf ihm emporsteigen zur Höhe des Himmels, zum ewigen Leben, wo Leben ohne Tod ist, Licht ohne Finsternis und Sättigung ohne Überdruss“.
Wenn der Mensch in der Selbsterkenntnis seine eigene Geschöpflichkeit anerkannt und sich von der Ichsucht befreit hat, erwacht in ihm das Verlangen, das zu wollen, was Gott will und die Dinge in Gott zu lieben. Auf der zweiten Stufe versenkt sich der Verstand in der Betrachtung der Liebe, die Gott uns in seinem Sohn geschenkt hat. Und darin findet schließlich die Seele Ruhe und Frieden und gelangt so auf die dritte Stufe, wo sie den Kuss des Friedens empfängt, „denn ihr Gedächtnis“ – spricht Gott im Dialog – „ist nicht mehr leer, sondern erfüllt von meiner Liebe“. In voller Einfühlung mit Christus übernimmt nun die Seele die Aufgaben des Mundes. D.h. „gedanklich opfert sie Mir süsse und liebevolle Wünsche für das Heil der Seelen auf; und in der Tat verkündet sie die Lehre Meiner Wahrheit, sie ermahnt, gibt Ratschläge und legt Bekenntnis ab, ohne irgendein Leid zu fürchten, das die Welt ihr zufügen könnte. Und sie gibt auf verschiedene Weise freimütig Zeugnis, je nach der Situation der Menschen, denen sie gegenübersteht“ (D 76).
Voraussetzung für diese dritte Stufe ist aber, wie gesagt, das Verweilen auf der zweiten Stufe, in der geöffneten Seite des Erlösers, wo uns Christus das Geheimnis seines Herzens offenbart. Hier findet der Mensch die wahre Erkenntnis über sich selbst: „Wo hat die Seele diese erhabene Würde kennen gelernt, dass sie durch den Empfang der heiligen Taufe kraft des Blutes mit dem Blut des Lammes vereint und von ihm durchdrungen wird? – In der Seitenwunde, wo sie das Feuer der göttlichen Liebe erfahren hat. So hat es dir Meine Wahrheit geoffenbart, wenn du dich erinnerst, als Er von dir mit den Worten gefragt wurde: „O süßes und unbeflecktes Lamm, Du warst tot, als Deine Seite geöffnet wurde: Warum wolltest Du auch noch Dein Herz durchbohren und zerbrechen lassen?“ Er antwortete: „Es geschah aus vielerlei Gründen, doch Ich werde dir einen der hauptsächlichsten nennen. Meine Sehnsucht nach dem Menschengeschlecht war unendlich, aber die aktuelle Tat des Ertragens der Leiden und Qualen im Tod war endlich und konnte niemals die ganze Liebe zeigen, mit der Ich liebte. Daher wollte Ich, dass ihr das Geheimnis Meines Herzens seht. Ich habe es euch geöffnet dargeboten, damit ihr sehen konntet, dass Ich euch mehr liebe, als Ich euch durch die endlichen Schmerzen hätte zeigen können. Indem Ich Blut und Wasser vergoss, habe Ich euch die heilige Taufe mit Wasser gezeigt, die ihr in der Kraft des Blutes empfangt“ (Dialog 75).
Das Herz ist der Ort, wo die Seele in den unergründlichen Abgrund der Liebe geführt wird. Der Ort, wo das Verlangen des Erlösers – auch nach dem Ende seines irdischen Leidens am Kreuz, das ja ein Ende hatte – weiterbesteht.
Sich in der Seitenwunde verbergen
Dort, in der offenen Seite des Herzens Christi, schreibt sie an Raimund „seht ihr auch die Braut im Bett von Feuer und Blut“. Gemeint ist die Braut Kirche. Denn wie Eva aus der Seite Adams, so ist die Kirche, die Braut Christi, aus der durchbohrten Seite des Herrn entstanden. Und sie muss immer auch an diesem Ursprungsort verweilen. Im Herzen verweilen, sich darin verbergen – sind wiederholte Aufforderungen in ihren Briefen, besonders in den Briefen an Ordensschwestern.
An die Nonnen von San Gaggio in Florenz (Br. 75): „Ich möchte, dass Ihr Euch in die Seitenwunde des gekreuzigten Christus verbergt und einschließt. Sonst wäre es nutzlos, hinter diesen Klostermauern zu leben, es wäre für Euch bloß ein Gefängnis.“
An eine Äbtissin (Br. 86) Ohne wirkliche Liebe ist es unmöglich, andere zu führen und zu leiten: „Ich sehe daher für uns nur eine einzige Möglichkeit: dass wir uns an die Brust des gekreuzigten Christus lehnen und darauf alles aufbauen. Denn hier finden wir, wie gesagt, die Milch der göttlichen Liebe. Meiner Meinung nach gibt es für uns keine andere Hilfe und keinen anderen Weg. Deshalb habe ich gesagt, ich möchte Euch in der wahren und vollkommenen Liebe gegründet sehen.“ Mit anderen Worten: Ein geistliches Leben muss im durchbohrten Herzen des Erlösers „begründet“ sein und sich aus dieser Quelle nähren. Nicht umsonst gehört Caterina zu den großen Verehrerinnen des heiligsten Herzens Jesu. „So wie Ihr körperlich hinter Klostermauern eingeschlossen seid, so lasst auch Eure Sehnsüchte und Neigungen verborgen eingeschlossen sein im Herzen des gekreuzigten Christus, das sich für uns geopfert und geöffnet hat. Dort wird sich Eure Seele mit Tugenden füllen und stärken, und plötzlich werdet Ihr diese zwei Flügel finden, die Euch ins ewige Leben fliegen lassen: Demut und Liebe“, schreibt sie an ein Frauenkloster (Br. 175).
An Monna Paola (Br. 97): „Freuen wir uns darüber, wenn wir seine Schmach ertragen müssen. Legt Euren Mund an die geöffnete Seite des Gottessohnes; denn seine Seite ist ein Mund, dem das Feuer der Liebe entströmt und ebenso das Blut, um Eure Sünden zu tilgen. Ich sage Euch, dass alle, die dort ausruhen und mit den Augen ihres Geistes auf das aus Liebe geopferte und geöffnete Herz schauen, eine solche Ähnlichkeit mit ihm erlangen, dass sie (weil sie sich so sehr geliebt wissen) nicht anders können als zu lieben. Und ihr Inneres wird dann gut geordnet; denn was immer sie lieben, lieben sie für Gott, und sie lieben nichts außerhalb von ihm. Und so werden sie ihm aufgrund der Sehnsucht gleich, da sie nur das wollen, was Gott will.“
An Monna Franceschina in Lucca (Br. 163): „Überlasst Euch ganz ihm. Lernt von Jesus, der sein leibliches Leben gegeben hat, um Euch das Leben der Gnade zu schenken. Um uns seine Großzügigkeit zu zeigen, hat er sich selbst ganz geöffnet, und nachdem er gestorben war, bereitete er uns als Zeichen seiner Liebe aus seiner Seitenwunde ein Bad. Wollt Ihr in Sicherheit leben? Dann verbergt Euch in dieser Seitenwunde und gebt acht, dass Ihr dieses geöffnete Herz niemals verlasst und nicht außerhalb seid. Denn sobald Ihr Euch hineinbegebt, werdet Ihr dort solche Freude und solches Glück finden, dass Ihr es niemals mehr verlassen wollt – da es wie ein offener Laden ist voll von Gewürzen und erfüllt von Erbarmen. Und dieses Erbarmen schenkt Gnade und führt zum ewigen Leben, wo es Leben ohne Tod, Sattheit ohne Überdruss, Hunger ohne Schmerzen und vollkommene und vollendete Freude gibt ohne jegliche Traurigkeit. Dort werden uns alle Wünsche erfüllt und alle Vorlieben befriedigt.“
An Daniella da Orvieto (Br. 308): „Verbergen wir uns in der offenen Seitenwunde des gekreuzigten Christus, wo Du den überfließenden Reichtum des Blutes gefunden hast; sonst gehen wir in der ichbezogenen Finsternis. Einen anderen Weg gibt es nicht.“
An die Gräfin Benedetta Salimbeni (Br. 112): „Das Herz ist tatsächlich eine Lampe, denn es soll wie eine Lampe sein, unten eng und oben weit. Das heißt, dass Dein Wollen und Lieben in Bezug auf die Welt eingeschränkt sein soll, während Deine Liebe zum gekreuzigten Christus weit sein soll, indem Du ihn liebst und mit treuer und heiliger Entschlossenheit an ihm festhältst. Dann wirst Du diese Lampe an der geöffneten Seite des gekreuzigten Christus füllen. Dort wirst du das Feuer der göttlichen Liebe finden, das Dir in den Wunden Christi offenbart wurde. Und seine offene Seite wird Dir das Geheimnis seines Herzens enthüllen: dass er nämlich alles, was er uns schenkte und für uns tat, aus reiner Liebe getan hat.“
An Tora Gambacorta (Br. 262): „Freue Dich, ständig am Tisch des heiligsten Kreuzes zu sein; verberge Dich dort und schließe Dich in sein Gemach ein, das heißt in die Seitenwunde des gekreuzigten Christus, wo Du das Bad des Blutes findest, das er für Dich bereitet hat, um den Aussatz Deiner Seele abzuwaschen. Dort findest Du das Geheimnis seines Herzens, indem er Dir in der offenen Seitenwunde zeigt, dass er Dich geliebt hat und immer noch unsagbar liebt.“
Verehrung des Herzens bei Caterina
Die Verehrung des Herzens Jesu bei Caterina von Siena ist eingebettet in das Ganze des Glaubens. Sie ergibt sich zum einen aus ihrer Sicht des Blutes Christi, deren Quelle das Herz des Erlösers ist, und sie hat zum anderen ihren Ursprung eben in diesem Verlangen, sich der Gesinnung des Herrn ganz anzugleichen.
Unter den zahlreichen mystischen Erfahrungen, die ihr zuteil wurden – der geheimnisvollen Vermählung, den Empfang der Stigmen in Pisa, der Bekleidung mit einem blutroten Gewand, das Christus aus seinem Herzen zog und ihr reichte – sind vor allem zwei Ereignisse dafür kennzeichnend: einmal die Vision, in der sie aus der geöffneten Seite des Erlösers trinken durfte, und der sogenannte „mystische Tod“, verbunden mit dem Tausch der Herzen.
„Erschaffe mir, o Gott, ein reines Herz!“
Im Sommer des Jahres 1370 – Caterina war gerade 23 Jahre alt – hatte sie das Erlebnis einer ungewöhnlichen Gottesvereinigung. Dabei nahm Christus ihr Herz heraus und setzte nach einigen Tagen seines in ihre Brust ein mit den Worten: „So wie ich dir an einem der letzten Tage dein Herz entnommen habe, so setze ich dir jetzt mein Herz ein, mit dem du das ewige Leben haben wirst“ . Ihren vorausgehenden todesähnlichen Zustand haben viele gesehen. Caterina erzählte den Vorfall ihrem Beichtvater, und ihre Mitschwestern haben glaubhaft bezeugt, sie hätten die zurückbleibende große Narbe mehrmals gesehen.
Dieser Herztausch markiert in ihrem Leben eine entscheidende Wende. Das Wort des hl. Paulus: „Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir“ war in Caterina Wirklichkeit geworden. Das eigene Ich war endgültig überstiegen, und eine neue, mit Christus verbundene Personmitte war entstanden. Ihr vielzitiertes „io voglio – ich will“ besagt letztlich nichts anderes als diese gänzliche Übereinstimmung mit dem Willen Gottes: Weil es Sein Wille ist, deshalb will ich es auch. Nach dem geheimnisvollen Herztausch wird sie zu Raimund sagen: „Ich bin nicht mehr die, die ich war, sondern in eine ganz andere Person verwandelt worden ... Ich spüre eine solch glühende Nächstenliebe, dass ich für das Heil eines jeden gerne mein Leben zu geben bereit bin“. Damit wird bei Caterina die Gleichgestaltung mit Christus nicht wie bei anderen Mystikern das Ziel einer persönlichen Frömmigkeit, sondern der Ausgangspunkt für ihren Einsatz in der Welt. Die Mystik wird so zum innere Mark des Apostolates. Mit diesem neuen Herzen beginnt sie nun im Auftrag Christi ihr öffentliches Wirken.
Niccolo Toldo
Das Blut erwirkt auch eine Verwandlung des Menschen. Weil das Blut Liebe ist, die aus dem Herzen Gottes strömt, hat es auch die Macht, den Menschen zu ändern. Caterina hat dies mehrfach erfahren. Vor allem in jenem berühmten Ereignis, das sie selbst in einem Brief ausführlich schildert. Gemeint ist die Hinrichtung des jungen Niccolo Toldo. Caterina hatte ihn im Kerker besucht, konnte ihn dort bekehren und ermutigen mit den Worten: „Sei stark, mein lieber Bruder, denn bald werden wir zur Hochzeit gehen! Du wirst dort einziehen, gebadet im süssen Blut des Gottessohnes,mit dem süssen Namen Jesus, der dir nie mehr aus deinem Gedächtnis entschwinden soll. Ich warte auf dich am Richtplatz.“
Caterina war dann tatsächlich am nächsten Morgen bei ihm, knieend neben dem Richtblock. Sie empfing sein Haupt in ihren Händen, wobei ihr Habit ganz mit Blut bespricht war. Sie erhob ihre Augen zum Himmel und sprach „Ich will“: „Da wurde der Gottmensch sichtbar, strahlend wie das Licht der Sonne. Er stand mit geöffneter Seitenwunde da und nahm das Blut – in dem ein Funken heiliger Sehnsucht glühte (die die Gnade in seiner Seele entzündet und bewahrt hatte) – zu seinem Blut und barg es im Feuer seiner göttlichen Liebe. Und nachdem er sein Blut und seine Sehnsucht aufgenommen hatte, empfing er auch seine Seele und nahm sie hinein in seine geöffnete Seitenwunde, in die Schatzkammer seiner Barmherzigkeit. … O wie unsagbar süss war es, die Güte Gottes zu betrachten! Mit welcher Zärtlichkeit und Liebe erwartete sie jene Seele, als sie vom Leib getrennt wurde – indem sich ihr das Auge seines Erbarmens zuwandte – und dann in die Seitenwunde einzog, gebadet im eigenen Blute, das durch das Blut des Gottessohnes aufgewertet worden war. … So also wurde er von Gott in Empfang genommen (denn seine Allmacht ist groß genug, das zu tun), und der Sohn, die Weisheit, das fleischgewordene Wort, beschenkte diese Seele und ließ sie teilhaben an der gekreuzigten Liebe … Und die Hände des Heiligen Geistes schlossen ihn dort ein. … Er aber (der Verurteilte) wandte sich um wie eine Braut, wenn sie an der Schwelle ihres Bräutigams angekommen ist, genauso drehte er sein Haupt und blickte zurück, um die zu grüssen, die ihn begleitet hatte, und ihr dadurch ein Zeichen des Dankes zu geben“ (Brief 273).
Das gilt letztlich für die ganze Schöpfung. Alle finden hier ihren Zielort. In einem Brief an Raimund nach Avignon schrieb sie von einer Vision, die ihr am 1. April 1376 (also genau ein Jahr nach Empfang der Wundmale) zuteilwurde. Mehr als sonst zeigte ihr Gott dabei seine Geheimnisse. Er offenbarte ihr den Sinn der Verfolgungen der Kirche und ihre kommende Erneuerung. Und dabei sah sie, „wie das Volk – Christen und Ungläubige – in die Seitenwunde des gekreuzigten Christuseinziehen.“
Was Caterina im Dialog breit entfaltet: Christus als die Brücke, die den Menschen in die Ewigkeit führt, das wird hier mit einem anderen Bild erneut deutlich gemacht: alle sollen heimgeholt werden. Aber das christliche und das ungläubige Volk gelangen einzig durch die Seite Christi, durch sein heiligstes Herz, in die ewige Seligkeit. Das heißt, Rettung gibt es nur durch Jesus Christus.
Alle diese Wirkungen aber kommen nur daher, weil das Blut mit der Gottheit geeint ist. Von Caterina dargestellt mit dem Begriffspaar Blut und Feuer. Jesus hatte gesagt: Ich bin gekommen Feuer auf die Erde zu werfen... Nur so ist Caterinas oft zitierter Ausruf zu verstehen: Ich will Blut, denn im Blut werde ich jetzt und in Zukunft das Sehnen meiner Seele stillen. Christi Blut ist nicht nur eine Chiffre oder ein Zeichen, sondern ein Realsymbol der Liebe des Schöpfers, denn es trägt in sich die Natur des Göttlichen – von Caterina ausgedrückt mit dem Wort Feuer. Es war der Heilige Geist, der gleichsam das Blut angerührt hat und die Vereinigung von Gottheit und Menschheit zum Neuen Bund in seinem Blut bewirkte. Und dieser Bund, diese Verbindung ist ewig, weil die Liebe und das Blut sich so vollkommen vereinigten, dass wir nicht Feuer ohne Blut und nicht Blut ohne Feuer haben können.
Alle Kraft und Preiswürdigkeit des Blutes kommt aus dieser Einigung von Gottheit und Menschheit, denn wenn es sich bloß um einen Menschen und nicht auch zugleich um Gott gehandelt hätte, nützte das Blut nichts. Erst die Einigung, die Gott mit dem Menschen vollzog, macht das Blut kostbar: O ewige Dreifaltigkeit! ruft Caterina aus, O Gottheit, diese Deine Gottheit, Deine göttliche Natur ist es, die dem Blut Deines Sohnes seinen Wert als Lösepreis verliehen hat.
Wie kommen wir mit dem Blut in Berührung? Durch die Kirche, der es anvertraut ist, im Empfang der Sakramente, die alle ihre Kraft aus dem Blut ziehen.
Durch die Sakramente der Kirche. Das Blut ist der Kirche anvertraut. Es ist ihr eigentlicher Schatz. Der vom Papst und seinen Dienern, den Priestern ausgeteilt wird: Im Empfang der hl. Eucharistie und im Bußsakrament, wo der Priester bei der Lossprechung das Blut über das Antlitz der Seele gießt. Alle Ausdrücke des Nähren, Sättigens, Badens, Waschens, Versenkens und Untertauchens sind Ausdrücke dafür. Weil das Blut mit der Gottheit vereint ist, weil in ihm das Feuer der Gottheit eingemischt ist, schenkt das Blut auch Licht. Das Licht des Glaubens und der Erkenntnis. Es erleuchtet den Verstand, stärkt den Willen. Es wehrt den Versucher ab und ermutigt zum Kampf gegen die Sünde.
Wo kommen wir noch mit dem Blut in Berührung außer in den Sakramenten? Caterina sagt, wenn wir unser Gedächtnis damit anfüllen. D.h. wenn wir daran denken. An die Liebe, die uns Jesus in seinem Leiden erwiesen hat.
Liebend an Gott denken
Das Geschöpf, das aus dem Herzen Gottes entstammt, das er aus Liebe herausgezogen hat, muss diesem „Ursprungsort“ stets nahe bleiben. Und dies geschieht, sagt Caterina, vor allem dadurch, dass wir im Gedächtnis behalten, was Gott für uns getan hat. Liebend an den Schöpfer und Erlöser zu denken, ist die stets zu übende Aufgabe des Christen, um die Freundschaft mit Gott wach zu halten bzw. um die Gnade zu bewahren. Caterina gebraucht für dieses liebende „Sich-Erinnern“ vor allem zwei Ausdrücke: Einmal sagt sie, ist es notwendig, dass wir die „Wohltat des Blutes im Gedächtnis behalten“, weil wir Gott dann „mit der geschuldeten Zuneigung und Frömmigkeit darauf Antwort geben“, und zudem in der Betrachtung des Blutes Anteil gewinnen an den Eigenschaften, mit denen es vergossen wurde. Und das zweite Bild für dieses „Erinnern“ ist ihre immer-wiederkehrende Aufforderung, sich in der geöffneten Seite des Gekreuzigten zu verbergen: „Ich möchte, dass ihr euch einschließt in die geöffnete Seiten- wunde des Gottessohnes“ schreibt sie an Raimund, „in seine offene Kammer, die so herrlich ist, so wunderbar duftend, dass selbst die Sünde davon einen Wohlgeruch bekommt“. Hier „findet die Seele das Leben der Gnade“, „Geschmack am Gottmenschen“, die „Erkenntnis des Geliebtseins“, „Schutz vor den Nachstellungen“ – kurzum – sagt Caterina: Das Herz Christi ist für uns ein „Zufluchtsort“, wo wir in „Sicherheit sind“, und eine „Wohnstätte und ein Ruheort, von dem wir uns nie trennen dürfen“, andernfalls wären wir nur „wie ein Fisch ohne Wasser“.
Die Nähe zum Herzen Jesu bewirkt aber auch eine Nähe zu seiner Gesinnung: „Glaubt mir: Wenn die Seele dort ausruht ... und das geöffnete Herz betrachtet, wird sie beim Anblick so inniger Liebe ihm gleichförmig, dass es ihm ihre Liebe nicht versagen kann.“ Diese Brücke fügte Christus selbst zusammen, als auf Golgotha die Steine auf seinem Leib behauen wurden und er den Mörtel mit seinem Blut anrührte, jenen Mörtel des Blutes, der vermischt ist mit dem Kalk der Gottheit, mit der Kraft und dem Feuer der Liebe. Christus hat sein Blut am Kreuz für alle vergossen, aber nicht alle erhalten Anteil da ran. Dies liegt nicht an einer Schwäche des Blutes, sondern in der Freiheit des Menschen. Daher ist der Mensch mitverantwortlich für sein Heil. Um dieser Freiheit willen schreibt Caterina an einen hohen Beamten in Siena sagt Gott: Ich habe dich zwar ohne dich erschaffen, aber ich werde dich nicht ohne dich erlösen.
Was können und müssen wir Menschen tun, damit die Erlösungstat des Sohnes für uns wirksam wird? Caterinas Antwort darauf lautet: Der Mensch muss seine Seele mit dem Blut Christi in Berührung bringen, denn da in diesem Blut das Feuer der Gottheit und die Glut der Liebe ist, kommt der Mensch durch die Einigung mit dem Blut zur Vereinigung mit Gott. Und weil das Feuer im Blut zugleich auch Wärme und Licht ist, erhält der Mensch durch diese Einigung mit dem Blut auch das Licht des Glaubens, mit der er die Wahrheit erkennen kann. Wo aber geschieht diese Berührung mit dem Blut? In den Sakramenten der Kirche. Sie sind das grundsätzliche Mittel zur Heiligung des Menschen, da sie – gleich lebensspendenden Kanälen – Christi Blut in uns einströmen lassen. Christus hat uns in seinem Blut ein Bad bereitet, in der Taufe erhält die Seele das Brautkleid der Liebe, das Kleid des Blutes, die Beichte ist eine fortwährende Taufe im Blut, und in der Kommunion werden wir genährt mit dem süssen Blut, das die Seele berauscht. Die immer wiederkehrenden Empfehlungen Caterinas, die alle ihre Briefe durchziehen: Ertränkt Euch im Blut, badet Euch im Blut, berauscht Euch im Blut, sättigt Euch mit Blut, bekleidet Euch mit Blut. Und wenn Ihr untreu geworden seid, so tauft Euch wieder im Blut … sind vor allem auf diesem sakramentalen Hintergrund zu sehen, nämlich als eine Inkorporation, eine Einverleibung, eine lebendige Assimilation in Christus.
Die Sakramente nützen aber letztlich nichts ohne den Glauben und die Disposition des Empfängers. Sie sind ja auch deshalb gegeben, um die stete Erinnerung an das Blut in uns wach zu halten. Caterina ist überzeugt, dass das Geschöpf durch nichts anderes so sehr verletzt wird, als wenn es nicht an das Blut denkt, d.h. wenn es das Andenken an die Wohltaten Gottes vergisst. Dann ist es nämlich undankbar und deshalb will ich, schreibt sie an einen jungen Mann, dass sich euer Gedächtnis erfüllt mit dem Blut des gekreuzigten Christus.
Aus wiederholten Äußerungen in den Briefen ist zu entnehmen, dass sie selbst erfüllt war von einer tiefen Sehnsucht, auf Gottes Erbarmen mit ihrem eigenen Blut zu antworten. Aber wenn Caterina auch das leibliche Martyrium versagt blieb, das seelische erlitt sie sicher aus Liebe zur Kirche und zum Blut. Was letztlich Caterinas Todesursache war, bevor sie mit den Worten Sangue, Sangue! – Blut, Blut! auf den Lippen verschied, mag ein Gebet aus jenen leidvollen Tagen mehr als hinlänglich zum Ausdruck bringen:
O ewiger Gott, nimm das Opfer meines Lebens in den mystischen Leib der Heiligen Kirche. Ich kann Dir nur geben, was Du mir gegeben hast. Nimm also mein Herz und presse es aus über das Antlitz Deiner Braut. Da wandte mir der ewige Gott das Auge seiner Gnade zu, nahm mir das Herz aus der Brust und zerdrückte es in der Heiligen Kirche. So gab die Mystikerin des Kostbaren Blutes zuletzt doch –wenn auch auf geheimnisvolle Weise – ihr eigenes Blut als einen leuchtenden Baustein für das Gefüge der Heiligen Kirche.
W. S.