Selbstbildnis

 

Caterina von Siena – das „Selbstbildnis“ in ihren Briefen

Vortrag vor Ordensschwestern [1]

 

In der Reihe „Zeugen des Glaubens“ gibt es vom Ulrich-Verlag herausgegeben seit Jahren eine Taschenbuch-Reihe mit kurzen Biografien über verschiedene Heilige der Kirche, darunter auch eine lesenswerte Darstellung von Marianne Schlosser (2006) mit dem Titel „Caterina von Siena begegnen“. Der Titel, der ähnlich auch in den anderen Biographien aufscheint, ist gut gewählt. Denn es geht ja um die Frage: Wie kann ich einer Gestalt, einer Persönlichkeit aus der Vergangenheit heute begegnen? Wie komme ich mit ihr in Kontakt? Welches Bild haben wir heute nach über 600 Jahren von ihr?

Gewiss haben wir von Caterina die Zeugnisse ihrer Gefährten, die unverzichtbar sind, wir haben Dokumente aus ihrer Zeit, es gibt über sie zahlreiche Lebensbeschreibungen und bildliche Darstellungen; das ist alles wichtig und gut. Aber wirklich authentisch begegnet sie uns erst in ihren eigenen Werken, im Dialog, in den Gebeten, vor allem aber in ihren Briefen – hier ist sie am unmittelbarsten zu erleben, hier wird sie vor uns gleichsam „lebendig“. Man hört zwar nicht den Klang ihrer Stimme, aber man spürt zwischen den Zeilen hindurch förmlich den Schlag ihres Herzens, man spürt ihr Empfinden und Mitfühlen mit den Adressaten, ihre innere Glut, ihr Temperament, ihren Mut, ihren Glauben und immer wieder und vor allem: ihre drängende Liebe, mit der sie alle und alles umfangen möchte.

Caterina hat am Ende eines ihrer längsten Briefe, die sie je diktiert hat – einen Brief an ihren Beichtvater Raimund von Capua nach Rom – auf großartige Weise eine Entschuldigung angefügt mit den Worten: „Verzeiht mir, wenn ich zu viel geschrieben habe, aber Hände und Zunge haben sich dem Drang des Herzens überlassen“ (Brief 272 an Raimund, Dialog Entwurf). Die Entdeckung des Herzens und der intimen Geheimnisse einer Seele – das ist der eigentliche Grund für das Interesse, das Briefe ganz allgemein hervorrufen und besonders die Briefliteratur der Großen, der Künstler und Schriftsteller und vor allem auch der Heiligen. Dabei ist es allerdings oft so, dass bei Schriftstellern ihre Spontaneität und die persönliche Aufrichtigkeit durch die kunstvolle Darstellungsform unterdrückt und bewusst niedergehalten werden.

Anders dagegen ist es bei Caterina. Hier sind die Briefe in der Tat ein Spiegelbild ihrer Seele und sie offenbaren uns, was sie wirklich fühlt und denkt. Caterina ist keine Schriftstellerin, die kunstvoll etwas produziert, sondern bei ihr ist es umgekehrt: erst die Notwendigkeit macht Caterina zu einer Schriftstellerin, ohne dass sie sich dessen bewusst ist oder dass sie dabei jemandem gehorcht. Bei ihr ist daher alles echt. Alles ist unmittelbar und spontan. Bei ihr gibt es keine Suche nach Stil oder Ausdrucksformen, sondern mit aller Einfachheit kommen die Bilder, Wörter, Gedanken aus ihrem Herzen hervor, mit denen sie über die Größe Gottes oder etwa über das Lob der Tugenden spricht.

Caterina hat kein Tagebuch geführt, um darin ihre Erfahrungen mit Gott aufzuzeichnen. Aber sie hat gegen Ende ihres Lebens ein mystisches Buch diktiert über ihre Gespräche mit der Ewigen Wahrheit. Dieses Buch der göttlichen Lehre, das aus ihrer eigenen Meditation und den himmlischen Mitteilungen an ihren Intellekt entstanden ist, ist anspruchsvoll – allein schon wegen der Dichte und Fülle des Gebotenen. Die Briefe dagegen bestehen mehr aus lebendigen und menschlichen Seiten. Hier steht mehr die subjektive Einstellung im Vordergrund, die allerdings durch das innere Diktat, das sich ihrem Stil und ihrem Wort zumeist aufdrängt, Gewicht und Wirksamkeit erhält.

Im Folgenden soll es daher ausschließlich um ihre Briefe gehen.

Mit Caterinas Briefwerk haben sich schon viele beschäftigt. Man hat die Briefe nach allen Seiten hin untersucht, nach Sprache, Stil und Satzbau, aus mystischer und literarischer Sicht, im Zusammenhang mit der italienischen Literatur oder auch, um nach dem Verhältnis von Denken und Ausdruck zu suchen. Der „Berg“ der Caterina heißt, ist groß und hoch und es gibt noch eine ganze Menge zu entdecken.

Es ist allgemein bekannt, dass Briefe grundsätzlich für jeden Historiker eine unverzichtbare biographische Quelle darstellen, die uns immer auch etwas von der Person, der Persönlichkeit und dem Leben des Absenders verraten. Bei Caterina ist es nicht anders. In zahlreichen Briefen finden sich autobiographische Aussagen, vor allem dort, wo sie ihrem Beichtvater Fakten berichtet, die im Zusammenhang mit ihren geistlichen Erfahrungen, Visionen oder Offenbarungen geschehen sind.

Bekanntes Beispiel dafür ist der Brief über die Hinrichtung des Niccolò Toldo (Brief 273). Hier wird eine Erzählerin sichtbar – nämlich Caterina selbst – die nicht zögert, die extrem leidenschaftlichen Gemütszustände in einer Weise und mit einer inneren Kraft zu beschreiben, wie es eigentlich nur ein externer Beobachter so hätte aufnehmen können. Wie in keinem anderen Brief wird hier durch die Erzählung Caterinas indirekt auch die historische Bühne, auf der sich dieses Drama abspielt, förmlich sichtbar: der Kerker, die Stadt, der Richtplatz, die Menschenmenge – und besonders Caterina selbst, ihr Handeln, ihr Beten und Fühlen.

Weitere Beispiele solcher Erzählungen, in denen sie etwas sehr Persönliches von sich preisgibt, sind etwa der Brief aus Florenz an Raimund von Capua, in dem sie darüber klagt, dass sie bei dem dortigen Aufstand nicht ihr Blut geben konnte: „Ich habe zu klagen, weil ich nicht verdiente, dass mein Blut Leben brächte oder Erleuchtung den Verblendeten oder die Versöhnung zwischen Vater und Sohn. Auch wurde kein Stein mit meinem Blut eingemauert in den mystischen Leib der heiligen Kirche“ (Brief 295).

Ähnlich auch der letzte Brief an Raimund, in dem sie ihm die ungewöhnliche Tatsache ihres mystischen Todes beschreibt und ihm ihren letzten Willen mitteilt (Brief 373 vom 15. 2. 1380): „O liebster Vater, ich werde Euch die großen Geheimnisse Gottes ganz kurz erzählen, soweit die gebrechliche Zunge dazu überhaupt imstande ist. Auch möchte ich Euch wissen lassen, was Ihr – meinem Willen entsprechend – tun sollt.“ Dieser Brief ist übrigens einer der wenigen Berichte, in denen Caterina mit eigenen Worten und sehr ausführlich die mystischen Phänomene wiedergibt, die sich während der gesamten Dauer ihres Lebens in vielfältiger Weise zugetragen haben:

„Es war mir, als ob meine Seele den Leib verlassen würde. Jetzt war es allerdings auf eine andere Art, als es damals geschah [beim mystischen Tod 1370], denn damals empfand meine Seele das Glück der Unsterblichen und konnte dieses höchste Gut zusammen mit ihnen genießen. Diesmal aber schien es ein Ausnahmezustand zu sein; denn es kam mir vor, als ob die Seele nicht mehr in meinem Leib wäre, vielmehr als wenn mein Leib jemand anderem gehörte.“ Eine ähnliche Erfahrung hatte sie auch in der Nacht des 1. April 1376, in der ihr Gott mehr als sonst seine Geheimnisse offenbarte: „Er zeigte mir seine Wunder, wobei meine Seele dabei außerhalb meines Leibes zu sein schien, und zugleich wurde sie mit einer solchen Fülle an Freude erfüllt, dass ich es nicht beschreiben kann“ (Brief 219 an Raimund von Capua).

Schließlich gehört dazu noch jener Brief, in dem sie Papst Urban ihre leidenschaftlichen Gespräche mit dem Ewigen Gott anvertraute, und wo sie von dem Wunder berichtet, wie ihr das Herz aus der Brust gerissen und von der Hand Gottes zerdrückt wurde, um mit ihrem Blut das Antlitz der Kirche zu waschen: Ich rief aus: „Oh ewiger Gott, nimm an das Opfer meines Lebens für den mystischen Leib der heiligen Kirche. Ich habe nichts anderes anzubieten, als was Du mir gegeben hast. Nimm also mein Herz und presse es aus über dem Antlitz dieser Braut.“ Da wandte mir der ewige Gott sein gnädiges Auge zu, nahm mir mein Herz heraus und presste es aus in der heiligen Kirche“ (Brief 371).

An anderen Stellen wieder, wo sie ebenfalls über mystische Erlebnisse spricht, hüllt sie ihre Person gänzlich ein, indem sie von sich selbst in der dritten Person spricht: „Ich kenne eine Dienerin Gottes...“ Sie berichtet von persönlichen Überlegungen und himmlischen Mitteilungen, die sie aber jemand anderem zuschreibt, „einer Dienerin Gottes“ (die offensichtlich sie selbst ist). In diesen Fällen werden die himmlischen Gespräche sozusagen als Bestätigung des Denkens der Briefschreiberin, also ihres Denkens, bezeichnet und eingefügt. Es heißt dann etwa: „Ich erinnere mich, wie einmal die liebe Erste Wahrheit zu einer Dienerin Gottes, als sie schwere Leiden und Versuchungen erfahren musste, gesagt hat …“ So etwa in dem berühmten Brief an Sr. Bartolomea della Seta aus dem Kloster Santo Stefano in Pisa. Caterina hat offenbar von den Anfechtungen ihrer Adressatin gehört und nun gibt sie ihr Anweisungen, wie man sich bei derartigen Versuchungen verhalten soll. Als Beispiel berichtet sie dabei eingehend über ihre eigene Erfahrung im Kampf mit den Dämonen. Raimund von Capua hat diesen Brief vermutlich als Vorlage benutzt (vgl. Legenda Maior 109–111 und 113). Diese direkte bzw. verhüllte autobiographische Form ist allerdings eher selten im Gesamt ihrer Schriften.

Aber es gibt noch andere Details, die vielleicht noch bedeutender sind, um das Bild Caterinas aus ihren Briefen entstehen zu lassen. Es gibt Momente, wo die Erzählung von sich selbst aufhört, weil das Erlebte und Geschaute über jede irdische Vorstellung hinausgeht. So sagt Caterina: „Worte reichen nicht aus, um all die Geheimnisse zu erzählen, die der Geist sah und die Liebe erspürte“ (Brief 371 an Urban VI.). Oder: „Es waren so tiefe Geheimnisse, dass man es weder mit Worten beschreiben noch mit dem Herzen ausdenken noch mit dem Auge zu schauen vermag. Wer wäre denn überhaupt fähig, die Wunderwerke Gottes zu erzählen? Ich armes, elendes Geschöpf sicherlich nicht! Darum will ich lieber schweigen und mich nur noch um die Ehre Gottes bemühen, um das Heil der Seelen und um die Erneuerung und Erhöhung der heiligen Kirche“ (Brief 219 an Raimund, Vision am 1. April).

Die Unzulänglichkeit der Sprache, um damit die Geheimnisse Gottes auszudrücken, haben alle Mystiker gekannt. Auch der hl. Paulus (vgl. 2Kor 12, 2–4): „Ich kenne jemand, einen Diener Christi, der vor vierzehn Jahren bis in den dritten Himmel entrückt wurde; ich weiß allerdings nicht, ob es mit dem Leib oder ohne den Leib geschah, nur Gott weiß es. Und ich weiß, dass dieser Mensch in das Paradies entrückt wurde; ob es mit dem Leib oder ohne den Leib geschah, weiß ich nicht, nur Gott weiß es. Er hörte unsagbare Worte, die ein Mensch nicht aussprechen kann.”

So ging es allen Mystikern. Dennoch: Ein Eindruck bleibt immer am Grund ihrer Seele zurück wie eine Spur von Licht oder Duft. So sagt Caterina nach der Enthauptung von Niccolò Toldo: „Meine Seele ruhte im Frieden und im Duft des Blutes … Ich blieb auf der Erde zurück mit großem Verlangen“ (Brief 273). Und an einer anderen Stelle heißt es nach einer Vision (Brief 219, 1. April): „Ich sterbe vor verzehrender Sehnsucht.“ Oder: „Auf diese und viele andere Weisen, die ich hier nicht beschreiben kann, verzehrt sich und verrinnt mein Leben in dieser süßen Braut“ (Brief 373).

Solche (Selbst)-Aussagen über ihre eigene Person kommen in vielen Briefen vor. Und zwar immer dann, wenn sie anderen nicht eine Predigt hält, sondern ihre vertraulichsten Gefühle vermittelt: „Oh mein süßer, geliebter und teuerster Sohn, Ihr seid mir so lieb wie meine eigene Seele“ schreibt sie etwa einem Kartäuser (Brief 150 an Francesco Tebaldi. Caterina war diesem Adeligen aus Florenz, der sich durch Tugend und Frömmigkeit auszeichnete, besonders zugetan. Ihm übersandte sie dann auch eine erste Abschrift ihres Dialogs).

Ähnlich Ausdrücke finden sich auch bei Stefano Maconi und bei Francesco Malavolti: „Geliebter und allerliebster Sohn … Ich, Deine arme Mutter, suche Dich … Komm! Komm, liebster Sohn! – Ich kann Dich wohl lieber Sohn nennen, denn Du kostest mich so viele Tränen, soviel Schweiß und so viel Bitterkeit! Komm jetzt und kehre in Deine Herde zurück“ (Brief 45).

Caterinas Briefe offenbaren uns aber noch weitere Züge von ihr, da Sprache und Stil, die Bilder und die Wahl der verwendeten Worte immer auch Ausdruck des Herzens sind. Caterina selbst erklärt es und sie entschuldigt sich sogar manchmal dafür, wie etwa im Brief an die Stadtväter von Siena (Brief 121): „Meine Liebe und Sorge machen mich so gesprächig.“ Oder im Brief an Kardinal Orsini (Brief 101): „Mein Mund schwätzt zu viel, da mein Herz so sehr erfüllt ist“.  An die Regierung von Florenz (Brief 337) schreibt sie: „Verzeiht meine Torheit; es geschah nur aus Liebe für Euer Heil, dass ich Euch geschrieben habe.“ An all diesen Beispielen kann man sehen, wie sich ihre Persönlichkeit in ihrer Sprache widerspiegelt.

Was die intellektuellen Qualitäten Caterinas betrifft, so ist darüber schon vieles geschrieben worden. Dabei ist natürlich nicht gemeint, was ihr an übernatürlicher Fähigkeit und Einsichten und Konzepten von Gott geschenkt wurde. Denn das ist ohnedies klar. Sondern gemeint ist, welche Art von natürlicher Intelligenz sie besaß, wie sie selbst, ihr echtes „Ich“ argumentiert und gedacht hat usw. Es sind Fragen, die man mit dem Beispiel der Briefe gut beantworten kann.

Eher selten ist es, dass sie bloß nüchtern spricht und der Verstand allein vorgeht. Meist sind ihre Gedanken reich mit Bildern gefärbt, wo sie dann von einem zum nächsten weitergeht und so die Gedanken entwickelt: Ein Beispiel ist hier etwa Brief 304 an Lodovica di Granello, ein Trostbrief an eine unbekannte Wohltäterin:

„Liebe erhält man nur durch die Liebe, aber ohne Licht kann man sie nicht finden. Denn wenn wir kein Licht haben, suchen wir sie dort, wo sie nicht ist, und so gehen wir in der Dunkelheit. Daher müssen wir das von uns fernhalten, was uns das Licht raubt, nämlich unsere Eigenliebe. Sie ist eine Wolke, die uns die Wahrheit dessen, was wir lieben müssen, nicht erkennen und sehen lässt; … Diese Wolke müssen wir daher vertreiben. Wir müssen uns mit Hass und Missfallen gegen jenes verkehrte Gesetz erheben, das mit dieser verdorbenen und ungeordneten Liebe stets gegen den Geist ankämpft. Sobald das Glaubenslicht das Auge unseres Geistes erhellt hat, richtet es sich auf die unermessliche Liebe, die Gott uns gezeigt hat durch das fleischgewordene Wort, seinen eingeborenen Sohn. Und dieses süße und liebende Wort hat sie uns offenbart durch sein Blut.“ Hier sind das Licht, die Wolke und das Auge körperlicher Ausdruck für die unsichtbaren Wirklichkeiten, die sie bezeichnen, so wie sie Caterina mit aller Natürlichkeit und ohne Anstrengung darstellt.

Und genauso meditiert sie über das Kruzifix, das sie als Buch mit großen initialen zeigt. (Brief 309 an Giovanni da Parma): „Gott hat uns auch ein geschriebenes Buch geschenkt, nämlich das göttliche Wort, den Sohn Gottes. Dieses Buch wurde am Holz des Kreuzes geschrieben – nicht mit Tinte, sondern mit Blut. Und ihre leuchtenden Initialen sind die heiligen Wunden Christi. Wer wäre so töricht und so uneinsichtig, dass er sie nicht lesen könnte? … Im Kapitel der „Füße“, die er sich annageln ließ, werden wir belehrt, dass wir unsere Liebe in ihm festmachen und von jeglichem ungeordneten Eigensinn loslösen müssen, … Wenn wir zur geöffneten Seite des gekreuzigten Christus gelangen, finden wir das Leben der Gnade. Denn sobald wir  unsere Neigungen von der selbstsüchtig-sinnlichen Leidenschaft befreit haben – …, entdecken wir die innige Liebe zur wahren und festen Tugend in seinem offenen Herzen. … Dort lernen wir von ihm, sanft und von Herzen demütig zu sein …. Schließlich kommen wir zu seinem Mund, um das dornengekrönten Haupt des gekreuzigten Christus zu lesen. Dort kreuzigen wir das dornengekrönte Haupt unseres Eigenwillens, der tatsächlich wie ein Dornbusch unsere Seele sticht und quält, wenn wir das Haupt unseres verkehrten Eigenwillens außerhalb des süßen Willens Gottes halten. Aber in diesem dornengekrönten Haupt des gekreuzigten Christus werden wir von diesem quälenden Dornbusch befreit. Und so finden wir nun den Frieden seines Mundes. … Wenn wir diesen süßen und geradlinigen Weg beschreiten, werden wir schon in diesem Leben die Frucht seines Friedens gewinnen.“

Hier sieht man die Art des Fortschreitens, Schritt für Schritt nach dem Vorbild eines Gedankens, der hier in Bildern dargestellt wird (Das Kreuz ist ein Buch, und man liest in den Wunden).

(Brief 265 an Pipino und Gattin): „Setzt Euch auf den Stuhl Eures Gewissens und weist Euch selbst zurecht“.

(Brief 21 an eine ungenannte Person): „Setzt Euch auf den Richterstuhl Eures Gewissens und lasst nur jene Gedanken und Gefühle zu, die Ihr durch eine heilige und liebevolle Erinnerung an Gott korrigiert habt.“

Abstrakte Dinge und Begriffe werden auf diese Weise konkret und lebendig: „Die Liebe ist die Mutter und Amme aller übrigen Tugenden“ (Brief 279 an Ristoro).

(Brief 304 an Lodovica Granello): „Die Liebe ist jene Mutter, die uns lebendige Tugenden (und nicht tote) als ihre Kinder gebiert, denn die Liebe gibt uns das Leben der Gnade.“

Es ist eine Meditation aus lebendigen und bewegenden Dingen, aus einem Realismus, der sich konkretisiert, aber nicht wirklich materiell zustande kommt.

Caterina erfindet keine Symbole:

Ein bellender Hund, der den Garten oder ein Haus bewacht, liefert ihr das Bild für den „Hund des Gewissens“, der „am Tor unserer Seele wacht“ (Brief 313, an Onorato Gaetani). Und wenn sie einen hohen Baum betrachtet, wird sie dazu gebracht zu denken, dass wir ein „Baum der Liebe sind, dessen Spitze sich mit dem Himmel verbindet“ (Brief 313 an Gaetani).

Die Neigung, die Realität, die sie umgebende Wirklichkeit zu einem Symbol, zu einem Bild „für“ etwas zu machen, war in Caterina schon sehr früh da und wurde dann immer mehr zu ihrer charakterischen Denkweise. Als sie noch jung war, versuchte sie in der Familie, die sich um den Tisch versammelte, die Gruppe der Apostel beim Letzten Abendmahl zu sehen (Legenda Maior 50). Im Pilgerstab sieht sie das Kreuz zur Stütze und zur Verteidigung der Seele auf unserer Lebensreise (Vgl. Brief 278 Bartolomea di Domenico). Wenn sie im Wasser eines Brunnes sieht, wie sich darin der Sternenhimmel widerspiegelt, findet sich dieses Erlebnis dann in einem Brieftext. So etwa in Brief 343 an Raimund von Capua: „Wenn wir die Sterne der Geheimnisse Gottes sehen wollen, müssen wir zuerst hinabsteigen in den tiefen Brunnen der wahren Demut.“ Und an den Mond erinnert sie sich in einem Trostbrief, wenn sie schreibt: Jetzt seid ihr „in der Nacht der Selbsterkenntnis, die leuchtet gleich dem Schimmer des Mondes… Dann aber folgt der Tag mit dem Licht und der Wärme der Sonne“ (Brief 104 an Raimund).

Caterina verbindet sehr oft abstrakte Begriffe mit kurzen Metaphern (Bildern) aus unserer Alltagswelt, um ihnen damit eine größere Anschaulichkeit und Lebendigkeit zu verleihen: Der Hund des Gewissens, die Zelle der Selbsterkenntnis, die Mutter des Gebetes, das Messer des Hasses, das Tor des Willens, die Hände der Gerechtigkeit usw. Raimund bemerkt in seiner Caterina-Biografie, dass ihr der Heilige Geist „eine große lebendige Vorstellungskraft“ verliehen habe (Legenda Maior 50).

Ausdruck der eigenen Erfahrung

Bei Caterinas Sprachstil handelt es sich um keine rhetorischen Tricks, sondern ihre phantasievolle Ausdrucksweise entspringt ihrer eigenen Erfahrung. Bartolomeo Dominici bezeugt im Prozess (S. 446f.), was sie der Herr selbst gelehrt habe: „Beim Lesen oder beim lauten Beten solle sie nicht darauf achten, viel zu lesen oder zu beten, sondern sie müsse jedes einzelne Wort genau betrachten, und wenn sie ein Wort gefunden hätte, das ihr Herz besonders erfreut, solle sie in ihrer Betrachtung so lange darin verharren, als ihr Herz Freude daran genieße.“

Alles ist immer betend durchdacht, wenn sie jemanden berät, ermutigt, belehrt oder korrigiert. Es ist als würde sie sagen: Hier sind die Gedanken, die mein Herz bewegen. Hier ist, wie ich es unter den gleichen Umständen getan habe. Jeder, der ein wenig über diese Heilige Bescheid weiß, findet hier in den Briefen ihre Überzeugungen, die Einstellungen ihrer Seele, ihre Methoden, die Taktiken, die sie für sich selbst anwendet. Es sind ihre eigenen Erfahrungen des Glaubens, Hoffens und Liebens, die in den Briefen sichtbar werden – wobei sie die von ihr besonders geschätzten Tugenden gelegentlich personifiziert und mit fast hymnischen Worten preist: „O Geduld, wie friedliebend bist du! O Geduld, wie viel Hoffnung schenkst du denen, die dich besitzen! O Geduld, du bist eine Königin, die Aufsicht führt über den Zorn und nie von ihm besessen wird. O Geduld, du übst Gerechtigkeit aus über die Erregung, wenn sie ihr Haupt erheben möchte im Zorn“ (Brief 104 an Raimund)

Aber ebenso findet ihre Verehrung des Kostbaren Blutes auf diese Art ihren besonderen Ausdruck: „O heiliges Blut, das Tote erweckt hat und Leben gibt! Du vertreibst die Finsternis von den erblindeten Seelen und gibst ihnen Licht. Süßes Blut, das die Uneinigen vereint, die Nackten bekleidet und die Hungernden nährt! Du gibst Dich selbst zum Trank all denen, die Durst hatten und haben nach diesem Blut … O Blut! Wer wird von Dir nicht berauscht?“ (Brief 295 an Raimund).

Auch ihre eigene innere Energie spiegelt sich in den Briefen wider, wenn sie etwa darauf besteht, „dass unser Wille so stark ist, dass weder der Teufel noch sonst jemand ihn schwächen kann, wenn wir selbst es nicht wollen“ (Brief 245 an Guaspare). Und ganz ähnlich in Brief 28 an Barnabò Visconti: „Niemand kann uns zwingen, auch nur die kleinste Sünde zu begehen, denn Gott hat Ja und Nein dazu der stärksten Macht, die es gibt, nämlich dem Willen übergeben.“Hier spürt man die Heilige, die es verstanden hat, allem mit ihrem eigenen „Ich will“ zu begegnen.

Ein wahres persönliches Zeugnis in den Briefen ist alles das, was sie über die Liebe sagt und anderen mitzugeben versucht, und zwar mit einem Nachdruck, der von der Sicherheit und Gewissheit kommt, die sie auf diesem Gebiet erlangt hat. Caterina möchte lehren, wie die Liebe aus sich selbst heraus geboren wird, d.h. dass die Liebe nur durch die Liebe entsteht. „Liebe erhält man nur durch die Liebe“ (Brief 304 an Lodovica Granello). „Liebe kann nur durch Liebe erworben werden“ (Brief 29 an Regina della Scala). „Und wo finden wir die Liebe? Im Blut des gekreuzigten Christus, der dieses Blut aus Liebe vergossen hat am Holz des heiligsten Kreuzes“ (Brief 297 an Soderini).

Und in der Selbsterkenntnis … „da das Geschöpf sofort liebt, sobald es sich geliebt sieht“ (Brief 29 an Regina della Scala). „Denn je mehr wir uns von unserem Schöpfer geliebt sehen, desto mehr lieben wir ihn, da es in der Natur der Liebe liegt, zu lieben, sobald man sieht, dass man geliebt wird“ (Brief 279 an Ristoro). Caterina macht diese eigene Erfahrung mit einem Bild deutlich: „ … wir sind aus Liebe und um der Liebe willen als Abbild Gottes geschaffen, und wir können ohne Liebe nicht leben … Wenn unser Herz von der göttlichen Liebe erfüllt ist, verhält es sich wie ein Schwamm, der das Wasser aufnimmt“ (Brief 113 an Benedetta).

Wer so spricht, wie es Caterina hier immer wieder tut, der zeigt, dass er sich längst der Anziehungskraft der Liebe überlassen hat. Was diese Liebe in der Seele Caterinas bewirkt, zeigt sich etwa, wenn sie in ihren ekstatischen Zuständen davon spricht: „Es ist ein Feuer, das alles in sich verwandelt. Es hebt die Liebe unserer Seele über uns selbst hinaus und vereint uns in dieser Erhebung des Geistes so sehr mit Gott, dass das Gefäß unseres Leibes jedes Empfinden verliert. Wir sehen und sehen doch nicht; wir hören und hören doch nicht; wir reden und reden doch nicht; wir gehen und gehen doch nicht; wir berühren und berühren doch nicht. Es ist, als ob alle unsere Sinne gebunden wären und ihre Kraft verloren hätten, denn unsere Liebe zu uns selbst (der Eigenwille) hat sich verloren und ist nun mit Gott vereint. So hat Gott durch seine Liebesmacht unseren Willen an sich gezogen. Der Grund für das Versagen unserer leiblichen Sinne ist der, dass die Vereinigung unserer Seele mit Gott vollkommener ist als die Vereinigung mit unserem Körper. Gott zieht die Kräfte unserer Seele mit all ihren Fähigkeiten an sich. Dabei füllt sich unser Gedächtnis mit Gedanken an seine Wohltaten und seine große Güte; unser Verstand folgt der Lehre des gekreuzigten Christus, die uns aus Liebe geschenkt wurde; und unser Wille beeilt sich, diese Lehre mit äußerster Hingabe zu lieben“ (Brief 263 an Montagna da Narni in Capitone).

Caterina gibt hier ein klare Analyse dieses Phänomens – was zugleich an eine andere Beschreibung erinnert, bei der Caterina den Zustand mit der Trunkenheit eines Berauschten vergleicht: „Wir fühlen uns so, als wären wir betrunken. Der Betrunkene aber hat kein Gespür mehr, in ihm ist nur noch das Gefühl für den Wein da, alles andere ist darin untergegangen. So ist auch unsere Seele vom Blut Christi berauscht: Sie verliert das Gefühl für sich selbst … mit anderen Worten: sie will sich fortan in nichts anderem rühmen als nur im Kreuz Christi. Das ist nun unser Ruhm. Alle Kräfte unserer Seele sind davon ergriffen“ (Brief 25 an Fra Tommaso dalla Fonte).

Es ist klar, dass Caterina hier immer aus eigener Erfahrung spricht, wer sonst könnte ein solches Phänomen aufdecken und beschreiben. Sie spricht von dem, was sie selbst erlebt hat. So kann man dann auch verstehen, was damit letztlich gemeint ist, wenn sie immer wieder schreibt: „Ertränkt Euch im Blut des gekreuzigten Christus! Badet Euch im Blut! Sättigt Euch mit Blut! Berauscht Euch mit Blut! Bekleidet Euch mit Blut! Beklagt Euch im Blut! Erfreut Euch im Blut! Wachst und erstarkt im Blut! Verliert die Schwäche und Blindheit im Blut des makellosen Lammes!“ (Brief 333 an Raimund)

Die Unmittelbarkeit dieser Art, sich auszudrücken, ist ein Zeichen für die Unmittelbarkeit ihrer Visionen. Nur daher, aus diesem persönlichen Erleben heraus, kann man auch verstehen, wenn sie sich verantwortlich und mitschuldig fühlt für alles, was auf der ganzen Welt schlecht abläuft und wenn sie erklärt: „Ach, ich Unselige! Meine Töchter, ich glaube, dass mein eigenes Elend die Ursache so vieler Übel ist auf Grund meiner großen Undankbarkeit und der anderen Sünden, die ich gegenüber meinem Schöpfer begangen habe“ (Caterina dello Spedaluccio und Giovanna di Capo, Brief 214). Es ist das Gefühl, als wäre sie in den Strom allen menschlichen Handelns hineingezogen und als wäre alles in irgendeiner Weise auch mit ihr verbunden.

Aus diesem Grund haben auch die entferntesten Ereignisse der Heilsgeschichte in ihrer ewigen Wirksamkeit einen solchen Einfluss auf sie, so als ob sie sich vor ihren Augen entfalten würden: „Er kam als unser Anführer, und waffenlos, geheftet ans Kreuz, besiegte er unsere Feinde. Sein Blut ließ er auf dem Schlachtfeld zurück, um uns, seine Ritter, anzuspornen, damit wir mutig und furchtlos kämpfen“ (Brief 114 Agnolino). Uns, seine Ritter! Damit meint Caterina auch sich selbst. Man kann hier nicht lächeln bei diesem Bild und denken, dass sie dies eben einem echten Ritter schreibt, nämlich Agnolino Salimbeni.

Caterina meint es ernst, wenn man sieht, wie es von ihr dargestellt wird – es ist als wäre sie bei der Kreuzigung präsent, wie damals bei Nicco Toldo. Wenn sie die Menschennatur des gekreuzigten Christus betrachtet und sieht: und „wie diese Menschennatur ans Kreuz genagelt und geöffnet wurde, dass durch die Wunden des Leibes das Blut herausströmte“ (Brief 234 an Buonaccorso). Es ist als ob sie das Gefühl hätte, mit diesem Blut besprengt zu werden – wie damals bei der Enthauptung des Niccolò Toldo. „Wir waren nämlich jene Erde, in die das Banner des Kreuzes eingepflanzt wurde, und zudem waren wir gleichsam ein Gefäß, welches das vom Kreuz herabfließende Blut des Lammes in sich barg.“ Und nachdem sie die Bedeutung dieser Aussage erklärt hat, wiederholt sie nochmals: Wir waren selbst jene „Erde“, die das Kreuz trug, und sind nun das „Gefäß“, in das sein Blut verströmte“ (Brief 102 an Raimund). Was damals war, das ist für sie jetzt. Lebendige Gegenwart in ihrem Fühlen und Denken.

Sprache und Empfindung

Manche Kritiker haben bemerkt, dass Caterinas Sprache, ihr bildhafter Stil in ihren Briefen, sehr intensiv oder sogar sättigend ist – durch Wiederholungen, Lehrhafte Darstellungen, Ermahnungen und Gebote, die ohne Pause ineinanderfließen würden. Aber man muss hier sagen, dass die Adressaten die unterschiedlichsten Personen waren, dass Caterina ihre Briefe rasch und spontan diktierte, ohne sie zu überprüfen oder zu korrigieren und dass der jeweilige Empfänger darin alle Merkmale der Absenderin vorgefunden hat. In dieser klaren Sprache – mit ihren vielfältigen Farben und Metaphern – konnte jeder sogleich etwas von ihrer Seele erkennen, die in den Briefen sichtbar wurde und die sie auf diese Weise allen vermitteln konnte.

Caterina hatte mit diesen lebendigen Metaphern und Bildern ihre eigene Erfahrung und die Frucht ihrer eigenen Meditation anderen weitervermittelt. Es ist, als ob sie dabei manchmal auch ihre augenblickliche Empfindung weitervermittelt hat, wenn sie etwa an Gregor schreibt: „Kehrt also bald zurück zu Eurer Braut, die schon ganz blass geworden ist. Sie wartet auf Euch, dass Ihr ihr wieder die gesunde Farbe bringt“ (Brief 231) „nachdem ihr von den bösen Schlemmern bereits so viel Blut ausgesaugt wurde, dass sie ganz bleich geworden ist“ (Brief 206). Und bewegt von diesem Kummer wird sie dann am Ende ihres Lebens beten: „Oh ewiger Gott, nimm an das Opfer meines Lebens für den mystischen Leib der heiligen Kirche. Ich habe nichts anderes anzubieten, als was Du mir gegeben hast.  Nimm also mein Herz und presse es aus über dem Antlitz dieser Braut.“ (Brief 371).

Caterina drückt sich auf diese Weise aus, in Form von Empfindungen. Ihre Worte sind sozusagen getönt von den Farben, die sie sieht, von den Gerüchen, die sie empfindet, von dem Emotionen, die sie empfunden hat und von der Glut, die in ihrem Herzen brannte. Ein ganzer Komplex von Empfindungen aller Art wird in der berühmten Textstelle zum Ausdruck gebracht, wo sie in einem Brief an Raimund schreibt: „Taucht also unter im Blut des gekreuzigten Christus.

Badet Euch im Blut; Berauscht Euch im Blut. Sättigt Euch mit Blut! Bekleidet Euch mit Blut! Und wenn Ihr untreu wart, tauft Euch erneut im Blut! Wenn Euch der Teufel das Auge des Verstandes getrübt hätte, dann wascht es rein mit dem Blut! Solltet Ihr undankbar gewesen sein durch Geringschätzung der Gnadengaben, dann seid wieder dankbar im Blut. Und wenn Ihr ein feiger Hirte wart, ohne den Stock der Gerechtigkeit zu gebrauchen (der freilich gemildert sein muss durch Klugheit und Erbarmen), dann er langt sie vom Blut! Blickt mit dem Auge des Verstandes ins Blut, ergreift sie (die Gerechtigkeit) mit der Hand der Liebe und haltet sie fest mit drängendem Verlangen! Vertreibt Eure Lauheit durch die Glut des Blutes, und im Licht dieses Blutes verjagt die Finsternis“ (Brief 102 Raimund). Man kann nicht so schreiben, wenn man dies nicht selbst in irgendeiner Form in seinem Inneren fühlt und spürt. Aber das ist nicht das einzige Beispiel. Ein weiteres, in dem sich ihre Empfindungen ausdrücken – zugleich eines der bekanntesten und am meisten zitierten Worte Caterinas: „Meine Seele freut sich und jubelt mitten in diesem Kummer, denn unter den Dornen spüre ich schon den Duft der Rose“ (Brief 137 Matteo Cenni),  oder: „Ermutigt Euch in Christus, dem geliebten Jesus: Denn aus den Dornen erwächst die Rose und aus all diesen Verfolgungen die Erneuerung der heiligen Kirche“ (Brief 270 an Gregor XI.).

Und – um unter 1000 anderen Stellen noch eine zu nennen – möchte ich noch den Brief an Ristoro Canigiani zitieren, wo der Duft der Reinheit (nämlich jener Caterinas) diesen ganzen Brief förmlich durchweht: „Wenn uns die Unreinheit überfallen will, vertreiben wir sie mit dem Duft der Reinheit, und diese Reinheit und Enthaltsamkeit machen uns engelgleich. Die Reinheit ist eine bevorzugte Tochter der Liebe, und ihre Mutter (die Liebe) liebt sie so sehr,  dass sie uns nicht nur die Unreinheit verabscheuen lässt, die die Seele tötet … sondern uns sogar den rechtmäßigen und ohne Todsünde erlaubten Verkehr derer vermeiden lässt, die im Ehestand leben – …  Das ist der Grund dafür, warum jene, die in der vollkommenen Liebe leben, den Duft der Enthaltsamkeit atmen und alles meiden, was ihr entgegensteht. O welch wohlgefälliges Opfer an Gott wäre es, wenn Ihr, mein lieber Sohn und meine liebe Tochter, diesen süßen und milden Duft vor Gott darbringen würdet, indem Ihr die Lepra den Leprakranken überließet und den engelgleichen Stand wählen würdet! Wartet nicht, bis Ihr alt seid, wenn Eure Natur nachlässt, denn es würde Gott wenig gefallen, wenn wir nur auf das verzichten, was wir gar nicht haben. Nein, schenkt ihm die Blüte Eurer Jugend!“ (Brief 279 an Ristoro).

Für Caterina waren der Duft der Tugend und der Gestank der Sünde nicht bloß rhetorische Ausdrücke, sondern eine erlebte Realität. Nach Raimunds Aussage spürte sie den widerlichen Geruch derer, die mit schweren Sünden behaftet waren, während ihr im Gegenteil der Herr das Kleid der Reinheit gab; er bot ihr durch einen Engel einen Kranz aus Lilien an, Symbol dieser Tugend (Supplement I, 2, 10) und gewährte ihr Ekstasen, aus denen sie mit einem großen Frieden und einer großen Reinheit herauskam und „Sie sagte auch, dass sie das Empfinden hätte, in großer Ruhe und unermesslicher Reinheit zu sein, und sie wolle mit den unschuldigen Kindern sein und verbleiben und sie herzen und küssen“ (Supplement I, 2, 12).

Dieses hohe geistliche Leben, an dem sie in einer sehr sensiblen Weise Anteil nahm, fand in ihr einen Weg, sich ausdrücken, in einer Form von Bildern und Metaphern, die uns teilweise auch aus anderen Bereichen nicht unbekannt sind. So sprechen wir vom Licht des Glaubens, vom Feuer der Liebe oder vom Tal der Tränen. Caterina weitet dies aus mit einem Einfallsreichtum an Bildern und Emotionen, die oft erstaunen lassen. Dabei verwendet sie vor allem jene Begriffe und Worte, mit denen sie geistige Vorgänge ausdrücken kann. Sie spricht dann  vom Tisch des Kreuzes und des Verlangens, von der Geduld als Mark der Liebe, oder vom Seelen essen bzw. verkosten. Und diese Metapher wird sogar noch übertroffen, wenn Caterina mit Humor von Rocca d’Orcia an ihre Mitschwestern in Siena schreibt (Brief 118): „Bruder Raimund … Lisa und ich sind in Rocca unter den Halunken, und es werden so viele eingefleischte Teufel verspeist, dass Bruder Thomas sagt, er habe schon Bauchweh! Und er ist immer noch nicht satt“ (Gemeint ist die geistliche Ernte bei der Beichte).

Man muss hier nicht unbedingt aus jedem Wort einen emotionalen Zusammenhang ableiten. Aber es wird doch grundsätzlich sichtbar, dass Caterina bei allem tief mitgefühlt hat, überall die Spuren der Gnade entdeckte und alles im Licht der Erlösung sah – bis zum roten Mohn auf dem Feld, der sie immer an das Blut Christi denken ließ (vgl. auch Supplement II, 2, 8).

Redewendungen

Diese Fähigkeit, Empfindungen gedanklich auszudrücken, haben ihr auch die charakteristischen Wortspiele ermöglicht, die in den Briefen so zahlreich vorkommen. So nennt sie den Sohn Gottes das liebeglühende Lamm, (Brief 64) nicht nur weil er sich in die Schönheit seiner Geschöpfe verliebt hat, sondern auch, weil er wie ein Verliebter zum schmachvollen Tod am Kreuz eilte (Brief 78). Solche leidenschaftlichen Äußerungen können nur von jemanden kommen, der ein tiefes Wissen über die Liebe hat und der sie auch selber in seiner Seele trägt. Caterina hat sich in der Betrachtung mit diesem Geheimnis unserer Erlösung identifiziert und dann versucht, es mit Worten wiederzugeben.

Wie aber kann man dieses Geheimnis benennen? Und auf welche Weise? Caterina fand kein besseres Wort als das Adjektiv süß. Daher verwendet sie auch dieses Wort so gern und sie spricht dann vom süßen Jesus, vom süßen, liebevollen Wort, von der süßen und liebsten Mutter Maria, und auch vom süßen Christus auf Erden, dem Papst. (In der dt. Übersetzung ist das „süß“ freilich meist mit „lieb“ wiedergegeben).

Charakteristisch sind auch die Wiederholungen als Ausdruck einer besonderen Sorge: Friede! Friede! oder: Liebt, liebt einander! Oder auch stilistische Wortfiguren wie: der süße und gute Jesus, das unbefleckte, geschlachtete Lamm, die echten und wahren Tugenden usw. Auch die Wahl der Verben (Tätigkeitswörter) und Adjektive (Eigenschaftswörter) von denen Caterina so zahlreich Gebrauch macht, ist ein Nachhall des inneren Lichts.

Caterina hat sich immer schon mit großer Entschlossenheit allem gestellt. Die Einladung „männlich, d.h. mutig und tapfer“ zu sein, richtet sich daher gleichermaßen an Krieger, Politiker und auch an die Männer der Kirche und an den Papst – und dies ausgesprochen von einer Frau, die weiß, dass ihre Stärke die Kraft des Willens ist. Mut, Treue und Tapferkeit als Motivation der Liebe – dies erwartet sie auch von ihren Freunden. Bezeichnend dafür sind ihre Worte an den armen Raimund, nachdem er seine Mission nach Paris wegen der Agenten des Gegenpapstes abbrechen musste: „Wäret Ihr im Glauben treu gewesen, so hättet Ihr nicht geschwankt und wäret nicht Gott und mir gegenüber in Furcht geraten. Ihr hättet im Gegenteil als getreuer und ganz gehorsamer Sohn die Reise fortgesetzt, um zu tun, was in Eurer Macht lag. Wenn Ihr nicht aufrecht hättet gehen können, so wäret Ihr eben auf allen Vieren gekrochen; und wenn nicht als Ordensmann, so doch als Pilger“ (Brief 344).

Caterina drängt es immer und bei allem zum Ganzen. Und dies kam aus ihrem Herzen, aus ihrem Verlangen nach dem ewigen Gott. Was sie selbst in sich trug und umgesetzt hat, das wollte sie auch den anderen raten. „Seid stets darum besorgt, dass die heilige Sehnsucht in Euch wächst. Und gebt Euch nicht mit kleinen Dingen zufrieden – denn Gott erwartet Großes von Euch!“ (Brief 37).

Vielleicht ist aus diesen Beispielen sichtbar geworden, dass nicht nur jene Seiten in ihren Briefen etwas von ihrer Person enthüllen, die autobiographisch geschrieben sind, sondern dass dies auch von allen anderen Seiten gilt. Da uns letztlich jeder Ausdruck und jedes Wort etwas von ihrem Wesen verraten. Die Art und Weise, wie sie sich sprachlich ausdrückt enthüllt uns einen Bereich ihrer Seele. Dabei ist klar, dass die Gestalt Caterinas, wie sie uns aus den Briefen entgegentritt, auch unter dem Einfluss von Ereignissen entstanden, deren Ursache übermenschlich war. Denn die mystische Erfahrung war ein entscheidender Teil ihres Lebens und spiegelt sich in den Briefen wider, wie man an ihren Lieblingsthemen und an der von ihr bevorzugten Sprache erkennen kann.

Ihre Briefe sind daher mehr als nur tiefe spirituelle, literarische Texte – sondern sie sind vor allem ein unschätzbares Dokument ihres Lebens und ein einzigartiges Selbstporträt. Oder sogar noch mehr – man könnte fast sagen: eine Reliquie, ein Teil von ihr selbst, der geblieben ist. Denn auch wenn man den Klang ihrer Stimme nicht hört – so ist uns doch etwas von dem verblieben, was ihr Herz und ihr Wirken damals bewegt hat.

W. S.

[1] Die Ausführungen stützen sich auf die Studien von P. Giacinto d´Urso, O.P., Il valore autobiografico del linguaggio cateriniano, in: Il Genio di Santa Caterina, Studi sulla sua dottrina e personalità, in: Quaderni Cateriniani 8, Roma 1971, 9–39.